Nebelschwaden?

Rund um Allerheiligen verändert sich zunehmend auch das Aussehen unserer Landschaft. Nicht nur die Blätter der Laubbäume färben sich und fallen ab; Tage mit dichtem Nebel lassen selbst gut bekannte Gegenden bisweilen ganz anders erscheinen. Die Materialität dieser Form des Wassers hat also auch einen Einfluss darauf, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, welche Landschaftsmerkmale oder Gebäude wir sehen, während andere im dichten Nebel völlig eingehüllt werden und verschwinden.  

Historische Materialien, ihre Eigenschaften und Einwirken auf Wahrnehmung, Verarbeitung und unterschiedliche andere Praktiken, mit denen sie in Zusammenhang stehen, werden aktuell am IMAREAL im Zuge der Forschungsperspektive Material(i)ties untersucht. Möchte man wissen, ob Nebel auch in den visuellen Medien des Mittelalters und der frühen Neuzeit dargestellt wurde, kann die Bilddatenbank REALonline Auskunft geben: Keines der darin enthaltenen Werke wurde mit diesem Schlagwort annotiert. Dafür findet man unter dem Suchbegriff „Wolke“ eine ganze Bandbreite an unterschiedlichsten Formationen von Wassertröpfchen. Von den fast 500 Kunstwerken und Artefakten, auf denen eine oder mehrere Wolken vorkommen, zeigt der Ausschnitt des Bild des Monats (REALonline 000177G) dunkle Schwaden, die bedrohlich den Himmel verhängen.

Sie gehören zum Jüngsten Gericht, das sich auf der Rückseite des Hochaltarretabels in Gampern (Oberösterreich) befindet und das 1515 und damit als letzter Part des Werks (die anderen Teile datieren in die Zeit zwischen 1497 bis 1505) entstanden ist. Die dunklen Wolken wirken an der Visualisierungsstrategie mit, anhand derer rechts der Weg der Verdammten und der Höllenschlund vor Augen geführt wird.

Gampern (Oberösterreich), Hochaltarretabel, Rückseite, Zug der Seligen und der Verdammten, um 1515.

Sie setzen die rechte Bildhälfte damit auch gegen den Zug der Seligen im linken Teil ab, wo weiße Wolken die Verbindung mit der Darstellung darüber – dem auf dem Regenbogen thronenden Christus zwischen Maria und Johannes dem Täufer – herstellen. Obwohl der Zugang zu Himmel und Hölle auf derselben horizontalen Ebene angesiedelt ist, wird also schon anhand der Wolken für Betrachter*innen deutlich, welche zwei Optionen für die aus den Gräbern auferstehenden Toten bereitstehen. Einen vergleichbaren leicht verständlichen Kontrast bilden auch der Engel im weißen Gewand, dessen Blick zu Christus emporgerichtet ist und der geflügelte Teufel in schwarz auf der rechten Seite. Sein Kopf mit den großen Ohren und dem schnabelartigen Maul sind auf das furchtbare Treiben in der Hölle unten rechts ausgerichtet; jenen Ort, an den er wohl auch die Frau bringen wird, die er kopfüber in seinen Pranken hält.

Nur für eine Person scheint die Situation nach dem Gericht noch nicht deutlich zu sein: Durch die Senkrechtstrebe überschnitten, sehen wir im Bildmittelgrund einen Mann, der versucht, einen großen Beutel voller Goldmünzen in den Himmel zu retten. Dass er damit nicht reüssieren wird, kündigt bereits der Teufel im rechten Bildfeld an, der ihn am Arm auf die Seite der Verdammten zieht.

Objekte spielen in den Darstellungen des Jüngsten Gerichts in Gampern aber nicht nur eine Rolle als Marker für untugendhaftes Verhalten, sie dienen auch der Kenntlichmachung unterschiedlicher sozialer Gruppen. So kann man etwa beim Zug der Seligen anhand seiner Tiara einen Papst erkennen. Weitaus ungewöhnlicher ist die Darstellung der Person, die am linken Bildrand unterhalb von Petrus zu erkennen ist. Unter dem Arm hält der Mann eine Getreidegarbe, die ihn vermutlich als Zugehörigen des bäuerlichen Standes auszeichnet. In dem reichen Datenbestand von REALonline kommt eine derartige Darstellung nur einmal vor. Im zweiten Kunstwerk im Korpus, das das Bildthema des Jüngsten Gerichts aufgreift und das Motiv der Getreidegarbe enthält, handelt es sich nämlich um einen etwas anderen Hintergrund: Am Retabel in der Kuratiekirche in Kortsch (Südtirol) ist ein Bauer, der das Bündel Getreide in Händen hält und von hinten von einer Teufelsgestalt ergriffen wird, vermutlich – ähnlich wie wir es auch aus den zahlreichen Darstellungen des Totentanzes kennen – eher ein Hinweis darauf, dass das Jüngste Gericht auch unerwartet einberufen werden kann.

Wenn Ihnen in der kommenden Zeit wieder einmal dichte Nebelschwaden die Landschaft verhängen und damit einen Spaziergang verleiden sollten, bietet sich vielleicht eine virtuelle Entdeckungsreise an, die Sie zu weiteren Objekten auf Bildern des Jüngsten Gerichts oder auf Darstellungen mit dem Zug der Seligen führt, die in Händen gehalten werden. Die nachstehende Abfrage können Sie in den neo4j-Browser kopieren, in dem die gesamten REALonline-Annotationen als Graph – also als Netzwerke von Knoten und Kanten – abfragbar sind. Sie erreichen diesen in REALonline über den Button „Expert*innensuche“.

Isabella Nicka

match (a:Work)
where "Jüngstes Gericht" in a.bildthema or "Zug der Seeligen" in a.bildthema
with a
match (a)-[*]->(b:Objekt)
with a, b
match (c)-[:child {RelationLabel:'hält'}]->(b)
with b
match (b)-[:thesaurus]->(d)-[:broader]->(e)
optional match (e)-[:broader]->(f)
optional match (f)-[:broader]->(g)
return b,d,e,f,g

(Mit der obenstehenden Abfrage, wird Folgendes gesucht: Gib alle Werke mit den Bildthemen Jüngstes Gericht oder Zug der Seligen aus, die Objekte enthalten, die über eine Verbindung „hält“ zu einer anderen Entität verfügen. Gib weiters alle Thesauruskategorien sowie deren übergeordnete Kategorien aus.)