Weißbrot für die Armen?

Die Omnipräsenz von Weißgebäck im Mittelmeerraum gehört für viele Sommerurlauber/-innen mitteleuropäischer Provenienz zu den prägenden Erinnerungen, ebenso die Freude, wieder das „heimische“ Schwarz- oder Vollkornbrot nach der Heimkehr schmecken zu können. Dies zeigt, wie Nahrung kulturell – in diesem Fall regional – konnotiert sein kann und sich von Kindheit an tief in unsere Identitäten einschreibt.

Das in diesem von einem Tafelaltar aus Rothenburg ob der Tauber stammende und um 1490–1500 datierende Bild des Reisemonats Juli zeigt den Heiligen Ludwig von Toulouse (1274–1297), der, als Bischof dargestellt, Brot und Weißgebäck an Menschen verteilt, die um einen weiß gedeckten Tisch sitzen. Aus dem königlichen Geschlecht der Anjou stammend, war für Ludwig eine Karriere als Fürst vorgesehen. Letztendlich entschied er sich aber zum Eintritt in den Franziskanerorden und wurde 1296 Bischof von Toulouse. Bereits 1317 erfolgte seine Heiligsprechung.

RB_25

Die Menschen, die an der Tafel von Bischof Ludwig verköstigt werden, können als „Bedürftige“ oder „Arme“ identifiziert werden, sei es durch ihre teils ärmliche Kleidung, sei es durch ihre Auszeichnung als Pilger/-innen durch Pilgerzeichen auf dem Hut. Damit erweist sich das Bild als Visualisierung der caritas, gelebter Nächstenliebe, der sich die im 13. Jahrhundert gegründeten Bettelorden, wie die Franziskaner, denen Ludwig angehörte, besonders verschrieben haben. Eine ganz ähnliche Darstellung aus der Pfarrkirche von Laufen (Bayern) von 1495/1505 stellt die Heilige Elisabeth von Thüringen bei der Versorgung Bedürftiger als Teil ihrer Heiligenlegende dar: Auch hier sind die Armen teils durch Pilgerattribute, überdies durch Schwären an der Haut gekennzeichnet. Als Teiltugenden der caritas können hier die Aufnahme von Fremden, deren Pflege sowie die Verköstigung angeführt werden. Im Bildmittelgrund sind auf dem weiß gedeckten Tisch wiederum neben feinem Tafelgeschirr Weißgebäck zu erkennen. Als Teil der sieben „Werke der Barmherzigkeit“ ist die Speisung Hungriger beispielsweise auf einem sich heute im Linzer Schlossmuseum befindlichen Flügelaltar aus derselben Zeit dargestellt: Auch hier wird eindeutig Weißbrot ausgeteilt.

Weißbrot war im Mittelalter nördlich der Alpen ein Nahrungsmittel, das vorwiegend den sozialen Eliten vorbehalten war. Nebst einschlägigen archäobotanischen Nachweisen aus Burgen sowie adeligen und geistlichen Einkaufsrechnungen kann hier als ein früher Beleg die Abgabe von großen Weizenbroten (panes triticei grandes) an die Burgherrschaft Hernstein in Niederösterreich von einem Gutshof (curtis) im „Codex Falkensteinensis“ von 1165 angeführt werden. Das dominierende Brotgetreide bildete in unseren Breiten im Mittelalter jedoch der Roggen. Der Brotertrag einer gleichen Menge an Getreide lag beim Roggen viel höher als beim Weizen.

Im Rahmen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Armenfürsorge wurde in der Regel ebenso hauptsächlich Roggenbrot ausgegeben, sei es bei Armenausspeisungen oder in Fürsorgeeinrichtungen. Anders als für das Mittelalter lässt sich das für die frühe Neuzeit mit einer größeren Anzahl an Quellen belegen. In frühneuzeitlichen Spitälern, die anders als heute vor allem der Unterbringung armer Menschen dienten (Alte, Behinderte, Waisen- und Findelkinder, Pilger/-innen usw.), gab es Weißbrot und Semmeln etwa nur an besonderen kirchlichen Feiertagen oder im Rahmen von gestifteten Mahlzeiten. Alte, schwache und kranke Menschen konnten zudem auch abseits davon Weißbrot erhalten, weil es als leichter verdaulich galt als Schwarzbrot. Dass von sozial hochstehenden Personen in einzelnen Fällen auch an „normalen“ Tagen Weißbrot als Almosen Bedürftige ausgegeben wurde, mag jedoch durchaus vorgekommen sein.

Die Versorgung Bedürftiger mit Weißgebäck gehörte somit nicht zur gelebten mittelalterlichen Praxis: Die didaktische Botschaft des Bildes ist somit, dass im Sinne der christlichen caritas nicht „Brotkrumen für die Armen“ gegeben werden sollten, sondern das Beste nach den jeweiligen Möglichkeiten der Gebenden gerade gut genug ist: Das Weißgebäck bildet in diesem Sinne ein Ensemble mit den Silber-, Zinn- und Glasbechern, dem goldenen Schüsselring und dem weißen Tischtuch. Dass hier ausgerechnet ein Bischof und im Fall des Laufener Altars eine „Königin“ dies vorleben, zeigt, dass diese sozialen Schichten keinesfalls von diesem Anspruch ausgenommen waren, sondern dass Mildtätigkeit zu den Fürstentugenden zählte. Im Übrigen war Ludwig von Toulouse der Urgroßneffe der Hl. Elisabeth und somit der „Hauptheiligen“ der Armenfürsorge, dies mag ein weiterer Grund für die auffällige Übereinstimmung der Bildmotive sein.

T.K. und S.P.